"Es ist künstlich, komplette Distanz zur Klimakrise aufzubauen"
Newsletter #2 - Interview mit Sara Schurmann
Liebe Leser*in,
die erste Ausgabe dieses Newsletters stieß auf einige Resonanz. So konnte ich dem Medienmagazin @mediares des Deutschlanfunks ein Interview geben. Auch traten einige aus der hiesigen Community der Klimajournalist*innen auf mich zu und hießen mich in ihrem Kreis willkommen. Und rund 250 Personen haben diesen Newsletter bereits abonniert. All das zusammen freut mich sehr.
Neben einigen meiner Meinung nach bemerkenswerten Links bringe ich ein Interview mit Sara Schurmann, die vergangenes Jahr einen Offenen Brief in Sachen Klimaberichterstattung veröffentlicht hatte. Sara ist noch bis Ende April Redaktionsleiterin von OZON, dem Klima- und Nachhaltigkeitsformat von “funk”. Danach ist sie offen für Neues – wie sie mir mitteilte.
In der kommende Ausgabe #3 will ich mich dem Thema Klimadatenjournalismus widmen.
Ich freue mich über Feedback und Hinweise. Gerne per E-Mail oder auf Twitter.
Besten Gruß
Lorenz
Interview mit Sara Schurmann
Im September vergangenen Jahres hast Du einen Offenen Brief verfasst: "Journalist*innen, nehmt die Klimakrise endlich ernst“, hast Du gefordert. Kannst Du kurz beschreiben, warum Du zu diesem Mittel gegriffen hast?
Mir ist erst vergangenen Sommer wirklich bewusst geworden, wie akut die Klimakrise bereits ist, wie wenig Zeit bleibt, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten und was es bedeutet, wenn wir das nicht schaffen. Und: wie wenig sich das im Großteil in der deutschen Politik- und Wirtschaftberichterstattung widerspiegelt.
In ersten Schock habe ich einflussreichen deutschen Journalist*innen geschrieben, mit denen ich schon mal gearbeitet hatte, ihnen Klima-Projekte gepitcht oder sie um Unterstützung gebeten. Die Antworten waren im Wesentlichen „gerade keine Zeit“, „nicht mein Thema“, „können wir nicht unterstützen, wir gelten eh schon als links-grün“. Die Bedrohung der Klimakrise scheint mir nicht ansatzweise ausreichend begriffen, bei mir hat es ja auch erst sehr spät klick gemacht. Verdrängung und kognitiver Bias sind sehr viel wirkmächtiger als ich mir das vorher je hätte vorstellen können.
So kam ich auf die Idee, einen Offenen Brief zu schreiben, ein reiner Kommentar erschien mir wenig vielversprechend. Gute Texte zu Problemen bei der Berichterstattung über Klima gibt es bereits, etwa von Bernhard Pötter bei Übermedien oder Daniela Becker bei Klimafakten. Aber Journalist*innen, die der Meinung sind, Klima gehe sie nichts an, würden auch einen weiteren Text einfach ignorieren. Daher die Idee für den Offenen Brief, der mehr Aufmerksamkeit generieren und eine Debatte anstoßen sollte.
Wie bewertest Du die Resonanz auf den Brief und würdest Du an ihm heute etwas ändern?
Ich ließ ihn von zwei führenden Klimaforscher*innen fact checken und schrieb 400 deutschsprachige Kolleg*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz an, ob sie ihn unterstützen wollen. 50 haben initial unterschrieben, darunter durchaus ein paar bekanntere, mittlerweile sind es mehr als 200 Medienschaffende. Auch der renommierte Klimatologe Michael E. Mann hat ihn unterzeichnet.
Ansonsten wurde der Brief medial weitgehend ignoriert. Die meisten Medienseiten haben nicht mal eine Meldung dazu gemacht – der Offene Brief von Jan Böhmermann an den FAZ-Herausgeber wegen eines gestrichenen Interviews mit ihm ein paar Tage später hat mehr mediales Echo bekommen.
Aber nein, ich hätte trotzdem nichts anders gemacht, ich wüsste nicht was. Ich verfolge hier keinen Masterplan, sondern versuche nur mit klaren Worten darauf hinzuweisen, wie akut unsere Situation ist. Und dass wir das meiner Meinung nach gesamtmedial nicht angemessen abbilden.
Wenig später hast Du dann auch in dem Stern-Heft zur Klimakrise, dass zusammen mit Fridays-for-Future, einen Meinungsbeitrag geschrieben. Auch wegen dieses Heftes gab es dann im Herbst 2020 eine Diskussion über Journalismus vs. (Klima-)Aktivismus innerhalb der Branche. Wie siehst Du diese Auseinandersetzung?
Ich habe ein Editorial für stern.de für den Veröffentlichungstag geschrieben, die Print-Version war da längst geplant und fertig.
Aber ich sehe die Zusammenarbeit von Journalist*innen und Aktivist*innen durchaus kritisch, auch bei anderen Projekten, und würde immer ganz genau überlegen, ob und warum das nötig ist. Auch weil solche Kooperationen die Berichterstattung zur Klimakrise angreifbar machen. Journalist*innen wird ja teils schon für ganz normale journalistische Berichte Aktivismus vorgeworfen.
Gleichzeitig fand ich es gut, dass die Ausgaben von Stern und taz zumindest für eine kurze Debatte zur Klimaberichterstattung geführt haben. Wobei die Aktivismus-Vorwürfe ihnen gegenüber natürlich von eigentlich Thema abgelenkt haben.
Ich sehe aber auch, dass es für Leser*innen nicht einfach nachzuvollziehen ist, nach welchen journalistischen Regeln solche Kooperationen ablaufen. Wobei sowohl taz, Stern als auch Correctiv bei einem ihrer Klimaprojekte transparent gemacht haben, wie ihre Projekte zustanden gekommen sind, dass und wie sie mit Aktivist*innen gearbeitet haben. Das kann man über die meisten Beiträge im Bereich Auto- oder Reisejournalismus nicht sagen.
Ein weiterer Punkt, der mehr für den Stern gilt als für die taz: Es ist ja leider tatsächlich so, dass viele Aktivist*innen mehr Faktenwissen zur Klimakrise haben als ein Großteil der Journalist*innen. Solche Projekte könnten daher auch in Redaktionen ein Umdenken anstoßen.
Was hältst du von dem Vorwurf, Klimaberichterstattung sei aktivistisch oder nicht ausgewogen?
Bei Themen wie Rassismus, Sexismus und Klimakrise geht der Ausgewogenheitsbegriff vieler Medien meiner Meinung nach nicht auf. Was ist die zweite Seite zu Anti-Rassismus? Rassismus. Zu Feminismus? Sexismus. Zu Klimaschutz? Die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Es gibt in allen drei Bereichen viel Konkretes zu diskutieren, aber das sollte man grundsätzlich verstehen und anerkennen.
Und: Als Journalist*in bin ich zufällig auch Mensch. So wichtig es ist, bei anderen Themen die Distanz zu bewahren, so künstlich ist es, komplette Distanz zur Klimakrise aufzubauen. Wenn es als aktivistisch gilt, wissenschaftliche Fakten zu akzeptieren, daraufhin Haltung zu zeigen und ein halbwegs sicheres und stabiles Klima für sich, die Zukunft seiner Kinder oder anderer Menschen bewahren zu wollen - dann weiß ich auch nicht weiter. Es fordert ja auch niemand von Journalist*innen, Distanz zu Demokratie und Menschenrechten zu halten.
In einem Twitter-Thread Anfang Februar diesen Jahres beschriebst Du eine Art „Erweckungserlebnis“: Dir wurde in den letzten Monaten klar, dass es schnell einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel bräuchte. Hat das Auswirkungen darauf, wie Du zukünftig Deinen Beruf ausüben willst?
Definitiv. In den drei Jahren zuvor habe ich mich privat intensiver mit allen möglichen ökologischen Krisen beschäftigt, in denen wir ja auch noch stecken, und kam darüber zum Klima. In Redaktionskonferenzen habe ich immer wieder versucht, solche Themen anzuregen, aber nie vehement für sie gekämpft, wenn sie abgelehnt wurden, weil die Redaktion das nicht spannend genug fand. Ich hatte irgendwie die absurde Vorstellung, diese - wie ich heute weiß - im Wortsinne existentiellen Krisen seien meine Privatinteressen, und ich sollte sie als Journalistin, die Distanz wahren muss, daher nicht in meiner Arbeit thematisieren. Außerdem schreibe ich ja eigentlich nie selbst, sondern arbeite seit Jahren als Redaktionsleiterin oder Textchefin.
Je mehr ich mich mit der Klimakrise und den ökologischen Krisen beschäftigte, desto klarer wurde mir, wie dringend die Themen sind. Meine Stelle beim funk-Format represent habe ich auch deswegen nicht verlängert, weil ich mich beruflich der Klimakrise widmen wollte- dabei war mir damals noch gar nicht klar, wie akut die Krise ist.
Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, journalistisch zu Themen zu arbeiten, die nichts mit Klima oder den ökologischen Krisen zu tun haben. Wenn das gesellschaftliche Bewusstsein für die Krisen in den nächsten Monaten und Jahren nicht wächst, wird es sehr schwer, Kipppunkte noch zu vermeiden. Da will ich mich nicht in zehn Jahren fragen, was ich in der Zeit gemacht habe.
Bislang haben sich noch keine Journalists-for-Future gegründet. Warum glaubst Du ist das nicht geschehen und hieltest Du es für sinnvoll?
Ich bin da etwas hin- und hergerissen. Die Klimaberichterstattung leidet ja so schon unter dem Vorwurf, aktivistisch zu sein. Was sich meines Erachtens nur aufrecht erhalten lässt, solange einem das Ausmaß der Krise nicht bewusst ist. Aber solange die Dringlichkeit in einer breiteren Gruppe nicht wirklich begriffen wurde, würden Kolleg*innen, die die „Journalists for Future“ gründen, wohl nur ihrem eigenen Ruf schaden.
Dabei wäre das im Endeffekt auch nichts anderes als ProQuote oder die Neuen Deutschen Medienmacher. Wenn sich genug Journalist*innen finden würde, um solch eine Gruppe zu gründen, könnte es vielleicht sogar ein starkes Zeichen sein und die Debatte zur Klimaberichterstattung weiter voranbringen.
Das Journalist*innen sich untereinander zu Klimaberichterstattung austauschen, finde jedenfalls extrem sinnvoll. Ebenso sinnvoll finde ich es, wenn Journalist*innen in der Klimakrise Haltung zeigen und sich dafür einsetzen, lebenswerte Bedingungen auf der Erde zu erhalten. Aber das kann man auch ohne Gruppe.
[Das Interview wurde per E-Mail im März 2021 geführt]
421 ppm
Anfang April verzeichnete das Mauna-Loa-Oberservatorium auf Hawaii 421 ppm Kohlendioxid (ppm = parts per million). Dieser Wert wurde wohl das erstemal seit ungefähr 2,5 Millionen Jahren wieder erreicht. Mehr zu diesem “Rekord” bei den Riffreportern. Würde derzeit nicht die Pandemie die Schlagzeiten dominieren, hätte es vielleicht mehr mediale Aufmerksamkeit gegeben. Allerdings gab es zur gleichen Zeit starke Konkurrenz bei den schlechtesten Klimanachrichten: Der “tipping point” beim Abschmelzen des westlichen Eisschilds der Antarktis liegt möglichweise nicht mehr fern.
Dissens-Podcast: Tonny Nowshin
Wer noch mehr Interview möchte, der/dem lege ich die Folge 112 des Dissens-Podcasts an die Ohren. Das will was heißen: Ich höre kaum Podcasts. Mit dem neumodischen Zeugs war es bei mir nach Einführung der Newsletter einfach Schluss. Haha. Tatsächlich ist mir das Medium zu langsam – Lesen ist einfach schneller. Wie dem auch sei: Es ist ein Interview (auf Engl.) mit der Aktivistin Tonny Nowshin. Sie hatte vergangen Sommer mit ihrem Text “Die Klimabewegung hat ein Rassismusproblem” für einiges Aufsehen gesorgt.
1. Staffel von Klima vor acht
Auch hier geht es um einen Offenen Brief. Eben diesen hat die “Initiative Klima vor acht” im März veröffentlicht; knapp 16.000 Personen haben ihn bislang unterzeichnet. Sie fordern darin vom ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow “eine wissenschaftlich fundierte und verständliche Klimaberichterstattung anzubieten, täglich und zur besten Sendezeit”. Die Initiative kündigte an, bald die erste Staffel ihrer Sendung auf YouTube zu starten. Offenbar laufen auch Gespräche mit der Mediengruppe RTL. Unlängst hat der britische TV-Sender Sky News eine 15-minütige “Daily Climate Show” gestartet.
PROKLA 202: Green New Deal!?
Wenn ich an meinen intellektuellen Fähigkeiten zweifeln will, schaue ich mir an, was die Blase der (Post-)Marxist*innen so treibt. Auch wenn ich nicht selten nach ein paar Seiten der meist jeglicher Illustration abholden Bleiwüsten von Schriften wie der PROKLA einen Knoten im Kopf habe, meine ich, doch etwas verstanden zu haben. Und soweit ich das bewerten kann, hat der Inhalt Hand und Fuß. So ist auch die aktuelle Ausgabe zum “Green New Deal” aufschlussreich: Fundiertere und aktuellere Kritik an dem Ansatz wird es kaum geben. Auf der Website lassen sich drei Beiträge der Nummer kostenfrei lesen.